Clownin Gott

Clowninnen und Clowns - ihre Erkennungszeichen

Clowns waren und sind Störenfriede, die sich nicht an Regeln oder Ordnungen halten, sondern flink mit ihrem feinen Gespür aufgeblähte Autoritäten entlarven und Machtspiele durchschauen - meist zur Erheiterung des Publikums, das sich wie in einem Spiegel mal mit der einen, mal mit der anderen Seite identifizieren kann. Sie tun das nicht aus Boshaftigkeit, vielmehr mit einer kindlichen Naivität, die noch nicht eingefangen ist in das Spiel der herrschenden Diskurse.
Auf die Art gelingt es ihnen, all das zu benennen und zur Darstellung zu bringen, was üblicherweise ausgeblendet wird: Peinlichkeiten, menschliches und körperliches Ungenügen, Scheitern, ein niedriger sozialer Status, Ausgegrenztes und Verspottetes.

Nehmen wir die Commedia dell’Arte in ihrer Form als Improvisationstheater auf den Marktplätzen Venedigs im 15. und 16. Jahrhundert. Hier sind es die Dienstboten Arlecchino, Brighella und Colombina, die vom Rand auf die Mitte der Gesellschaft blicken. Geflohen vor dem Hunger auf dem Land, treffen sie in Venedig auf die Repräsentanten von Macht und Herrschaft: auf Pantalone, den ewig geilen und geizigen Kaufmann; auf Dottore, den Professor aus Bologna, der selbst auf Latein nur leere Worthülsen von sich geben kann; auf Capitano, der ein Kriegsheld sein will, aber nur ein Maulheld ist. Die nur grob festgelegten Rollen und Szenen ließen genug Spielraum, um die Stücke zu aktuellen Abbildern der zeitgenössischen Gesellschaft werden zu lassen. Wie in einem Spiegel führen die Figuren vor, wie die Macht verteilt ist, aber auch, wie willkürlich und labil sie ist.

Das Clownsspiel holt es zurück in die Mitte, das Ausgegrenzte und Entnannte und stellt es so neu zur Verfügung. Es zeigt also nicht nur, wie die Machtverteilung funktioniert, es hebt sie auch auf und eröffnet so neue Möglichkeiten, sich selbst und die anderen wahrzunehmen – und all das auf humorvolle Art, die
uns zum Lachen über das bringt, was uns so normal und richtig erscheint. Ein wahrhaft dekonstruktivisti-sches Vorgehen!

Clownerien in der Bibel

Die biblischen Geschichten zeugen von den Erfahrungen der Menschen mit Gott. Doch entgegen unserer landläufigen Meinung, Gott erscheine immer als der allgewaltige, herrschende und mächtige Alleskönner, begegnet Gott in dem Menschen Jesus, der verkannt, verfolgt und verspottet wird und schließlich am Kreuz endet. Und Gott begegnet in seiner Geistkraft, die Leben und Atem schenkt und wie der Wind oder der Sturm alles durcheinanderwirbelt und für Verwirrung sorgt. Die biblischen Erzählungen lassen mehr Fragen offen, als sie beantworten, aber gerade so bringen sie uns zum Nach- und Umdenken. Auch sie brechen mit der „herrschenden Ordnung der Diskurse“ und fordern heraus, das Kleine, Unscheinbare, Unbedeutende wahrzunehmen und sich gerade daran ein Beispiel zu nehmen. Nicht selten erscheint das absurd und komisch, wie auch der Glaube selbst absurd ist, der an Verheißungen einer gerechten und friedvollen Welt festhält, obwohl die Realität dem völlig entgegensteht.

Die Geschichten von Jesu’ Heilungen sind solche Geschichten, die uns sicher nicht unmittelbar witzig erscheinen, aber bei genauem Hinsehen und –hören voller Komik sind. Da wird unter viel Getöse ein Dach von einem Haus abgedeckt, in dem Jesus währenddessen seelenruhig ein diffiziles Streitgespräch führt. Ein Gelähmter soll direkt vor seine Füße gelegt werden. Es muss ihnen doch ständig der Lehm auf die Köpfe gerieselt sein! Hätte man wirklich nicht die Tür benutzen können? Und hätte Jesus den alsbald Geheilten gleich wegschicken müssen? (Mk 2,1-12)

Als das Volk in der Wüste ist und sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens, und ebenso nach Fischen, Kürbissen, Melonen, Lauch, Zwiebeln und Knoblauch zurücksehnt, stiftet das Wirken der Rûah, der göttlichen Geistkraft, Unsicherheit bezüglich der Machtfrage und Autorität. Denn Mose gerät mit allen 70 einberufenen Ältesten in Verzückung. Anstatt seine Regierungsgeschäfte wahrzurnehmen und alles in Ordnung zu halten, geraten er zusammen mit siebzig Ältesten in prophetische Verzück-ung. Am liebsten würde er gleich das ganze Volk im prophetischen Erregungszustand sehen. Josua reagiert ganz entsprechend des politischen Sachverstandes, so, wie wir wohl auch reagieren würden: „Mose, mein Herr, wehre ihnen?" (Num 11, 28) Die Lösung liegt auch hier jenseits des Üblichen: in der Augenblicksnahrung Manna.

Gott erweist sich mit diesem Erfahrungen als irritierende und erheiternde Kraft, die gerade so neue Erfahrungen und Erkenntnisse und heilsames Leben schafft, uns unabsehbar und unverfügbar aus der Ordnung holt und neue Lebensmöglichkeiten erschließt.

Clowneske Existenz

Eng verknüpft mit den theistischen Vorstellungen des allmächtigen Gottes, der alles von nirgendwo mit einem zyklopischen Auge sieht, ist der moderne Subjektbegriff. Danach ist der ideale Mensch einer, der alle Schwächen ablegt und unverrückbar seinem Ziel entgegensteuert, Stufe um Stufe erklimmt, um schließlich autonom und abgegrenzt zu leben. Ideale aber existieren immer nur unter Ausgrenzung all dessen, was das Bild trüben würde. Im Schatten der Autonomie steht daher die Bezogenheit und Abhängigkeit der Menschen voneinander, im Schatten des Eigenen steht das Fremde, im Schatten des idealen Mannes steht die Frau als sein Spiegelbild, als seine Zierde, als die ausgeschlossene Andere.
Um aus der Position des „anderen Geschlechts“ (Simone de Beauvoir) herauszukommen, haben die Frauen-bewegung und die feministischen Wissenschaften diese Konstruktionen von Ideal und Abweichung kritisiert und an anderen Subjektbegriffen gearbeitet. Frauen finden sich meist auf der Grenze zwischen herrschen-den Diskursen, zwischen den üblichen Idealbildern einer treuen Gattin, selbstlosen Mutter und erfolgreichen Geschäftsfrau, schön und klug zugleich und doch unbedeutend, wenn sie ihre Stimmen zu Gehör bringen wollen. Solche Grenzgänge führen zu Vorstellungen eines nomadisierenden Subjekts, eines „un- / an- / geeigneten“ Subjekts oder – wie ich es nennen will – eines clownesken Subjekts. Denn auch hier will das Ausgegrenzte mitten hinein ins Spiel gebracht werden. Das ist meist ein mühevolles, politisches Unter-fangen, es könnte aber auch ähnlich wie die Clownerie als kreatives Spiel mit ungewöhnlichen Mitteln, heiter und schalkhaft geführt werden. In Bezug auf die herrschende Geschlechterordnung würde das bedeuten, diese Ordnung aufzumischen und die Geschlechterrollen herrlich durcheinander zu wirbeln – mit Gewinn durchaus für beide Geschlechter.

Clownin oder Clown?

Eigentlich umfasst das Wort „Clown“ alle Geschlechter, auch alle Hautfarben, Altersgruppen und andere Einteilungen, die wir üblicherweise vornehmen. Deshalb ist die Figur auch so integrativ, können sich alle mit ihr identifizieren, oder aber sie werden verunsichert, wenn sie zu sehr an einer festgefügten Identität fest-halten. Solange es aber noch so ist, dass die meisten Clowns von Männern gespielt werden, die Gottesrede mit in erster Linie männlichen Metaphern geführt wird und männliche Normalbiographien immer noch das Maß vorgeben, ziehe ich es vor, von der „Clownin“ zu sprechen. Und mit der Hoffnung darauf, dass Befreiung aus ungerechten Ordnungen und aus beengenden Identitäten für immer mehr Menschen möglich wird, spreche ich von der „Clownin Gott“.